Die aktuellen Debatten über gesundheitspolitische Reformen dürfen nach Ansicht der Sozialdemokraten im Siegburger Kreistag nicht den Blick für die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Gesundheitssektors verstellen, der einer der größten Arbeitgeber in der Region Bonn/Rhein-Sieg und bundesweit sei. Der amtierende Landrat verschlafe die Entwicklung. Die Gesundheitswirtschaft im Kreis müsse ihre Kompetenzen noch deutlicher entwickeln und hervorheben, ja sogar um ausländische Patienten werben.
Nach Einschätzung des SPD-Chefs im Kreistag, Peter-Ralf Müller, hat der Rhein-Sieg-Kreis sich noch längst nicht auf die neuen Herausforderungen eingestellt: „Wir registrieren bei der Gesundheitswirtschaft ähnlich wie in vielen anderen Branchen, dass sich der Landrat und seine CDU extrem schwer tun, die Zeichen der Zeit zu erkennen.“ Hier müsse erst noch einiges angestoßen werden. Man könne sich dabei am Ruhrgebiet orientieren, das bei seinem Strukturwandel den Gesundheitssektor stark ausbaue.
„Alle debattieren über Gesundheit, denken dabei aber in erster Linie an Reformen und an den sicher nötigen Abbau von Kostenbergen“, kritisiert Peter-Ralf Müller, „leider ist es auch bei uns im Kreis so, dass kaum jemand Gesundheit als Wirtschaftsfaktor wahrnimmt.“ Der sozialdemokratische Landratskandidat betont, jeder neunte Erwerbstätige arbeite im Gesundheitswesen: „Menschen heilen heißt Arbeitsplätze schaffen, dieser Sektor ist mit bundesweit rund 4,5 Millionen Beschäftigten vielleicht der größte Arbeitgeber, er wirkt also als wahrer Beschäftigungsmotor.“ Neben den Krankenhäusern böte der breite mittelständische Bereich mit tausenden Arzt- und Physiotherapie-Praxen, Pflegeeinrichtungen, Sanitätshäusern, Firmen der Informationstechnologie und der Medizintechnik attraktive Berufsbilder.
Die SPD hat den gesamten „Gesundheitsmarkt“ im Blick: Versorgung, Pflege, Ärzte und Krankenhäuser, die Technologiefirmen und die Prävention. „Wir beobachten mit großem Interesse die Entwicklung dieses Sektors und seine Synergie-Effekte bei Touristik-Dienstleistungen, im Kongresswesen, bei den Zuliefer- und Servicebetrieben im Rhein-Sieg-Kreis“, berichtet der wirtschaftspolitische Sprecher der Sozialdemokraten im Kreistag, Gerhard Diekmann. Umfragen ließen zum Beispiel erwarten, dass mehr als die Hälfte der deutschen Kliniken bis zum kommenden Jahr ihre Budgets für IT-Anwendungen ausweite. „Allein hierin liegt eine enorme Wirtschaftskraft“, so Diekmann.
Die Akteure in der Gesundheitswirtschaft müssten sich nach Auffassung der Sozialdemokraten systematisch auf ihre Kompetenzen konzentrieren, sie viel offensiver publik machen, sich vernetzen sowie regional wie international Kooperationen eingehen. Die Krankenhäuser im Rhein-Sieg-Kreis könnten untereinander und mit den beiden Universitätskliniken Bonn und Köln effektiver zusammenarbeiten. Genauso wie Städtepartnerschaften heutzutage selbstverständlich sind, sollten Kliniken über Ländergrenzen hinaus kooperieren. Auch zwischen Anwendern und Wissenschaftlern an den Hochschulen, Fachhochschulen, im Forschungszentrum „caesar“ und anderen Instituten wäre „eine neue Qualität des Austauschs“ wünschenswert.
Wo medizinische Spitzenleistungen gefragt sind, könne sich auch der Bonner Raum als ehemaliger Regierungssitz durchaus sehen lassen und vom Trend des "Medizintourismus" profitieren. „Die medizinische Versorgung in der Bundesstadt Bonn und dem Umland hat bei ausländischen Patienten bereits einen ausgesprochen guten Ruf“, erläutert Peter-Ralf Müller, darauf müsse man aufbauen, „sich auf seine Heilungskräfte besinnen“ und den Gesundheitsstandort Bonn/Rhein-Sieg bundesweit, ja international vermarkten. Wenn mit der Einführung des Fallpauschalensystems die Auslastung der Kliniken sinke, böte sich die Chance, frei werdende Kapazitäten für die Betreuung ausländischer Patienten aus England, den Niederlanden oder gar Übersee zu nutzen. Obwohl es um einen relativ kleinen Markt geht, findet der Landratskandidat den Aspekt interessant. Außer dem medizinischen Angebot habe die Region den Gastpatienten schließlich auch eine einladende Infrastruktur zu bieten, Hotels, Einkaufsmöglichkeiten, eine lebendige Kulturszene, die Dienstleistungsmentalität und eine gewisse Internationalität.
„Das Hauptpotenzial liegt allerdings nicht im Angebot für ausländische Patienten, sondern im Dienst an der hiesigen Bevölkerung“, gibt Peter-Ralf Müller zu bedenken. Je schneller sich die Medizin von einer Reparatur- zu einer Präventionsmedizin entwickle und je stärker die Menschen ihr körperliches Wohlbefinden im Auge behielten, desto wichtiger und umsatzstärker werde die Gesundheitswirtschaft.
Die sozialdemokratischen Kreistagspolitiker meinen, die Region Bonn/Rhein-Sieg könne aus dem erfolgreichen Strukturwandel an der Ruhr lernen. Die NRW-Landesregierung hat frühzeitig das Ruhrgebiet als „Revier der weißen Kittel“ entdeckt, seine Gesundheitswirtschaft als eines von zwölf Kompetenzfeldern definiert und die Region in den letzten vier Jahren mit 47,6 Millionen Euro an Landes- und EU-Mitteln gefördert.