In der schwersten Wirtschaftskrise seit 80 Jahren trafen sich am Wochenende 20 Staats- und Regierungschefs zum Weltfinanzgipfel in
Washington. Bereits das Zustandekommen des Gipfels ist ein Erfolg, liegt ihm doch die Einsicht zugrunde, dass globale Probleme globales Handeln
erfordern. Die Ära der G7-Treffen geht ihrem Ende entgegen – die G20 wird als Spiegel einer multipolaren Welt das zukünftige Forum für
gemeinsame Lösungen der Industriestaaten und der Schwellenländer sein.
Noch vor wenigen Tagen war die Welt nur einen Herzschlag vom
ökonomischen Kollaps entfernt. Rund um den Globus legten Regierungen Rettungsfonds und Konjunkturpakete auf und die Zentralbanken
koordinierten ihre Geldpolitik. Jetzt wissen wir, manchmal ist der Markt das Problem und die Politik die Lösung.
Mit der Finanzkrise ist die Ideologie des Marktradikalismus klassisch gescheitert. Vier Jahrzehnte lang herrschte auf dem globalen Finanzmarkt "Laisser-faire", der Kapitalfluss wurde liberalisiert, der Markt immer
weiter dereguliert. Die unsichtbare Hand des Marktes werde alles richten, versprach der Neoliberalismus – bis die entfesselten
Marktkräfte den internationalen Finanzmarkt zerstörten und Investmentbanker und Hedgefonds-Manager im Chor den Staat zu Hilfe
riefen. Nicht nur die Gier der Spekulanten auf immer höhere Rendite trieb die Finanzindustrie in den Ruin. Das Argument der menschlichen
Schwäche verdeckt die systemischen Risiken des ungezügelten Turbo-Kapitalismus.
Die Gründungsväter der sozialen Marktwirtschaft hatten die Tendenz des Kapitalismus erkannt, seine eigenen Grundlagen zu zerstören. Ihre Lösung
war eine Balance zwischen Staat und Markt. Während sich Kapital und Wirtschaft globalisierten, hat die Politik nicht nachgezogen. Die
Finanzkrise hat offenkundig gemacht, dass die globalisierte Ökonomie eine globale politische Antwort braucht.
Doch die Interessenvertreter der Finanzindustrie haben sich bereits in Stellung gebracht. Mit dem Deutsche-Bank-Chef Ackermann an ihrer Spitze
warnen sie vor "Überregulierung". Der Beinahe-Zusammenbruch des Finanzsystems hat indes bewiesen, dass eine Selbstregulierung der
Branche illusorisch ist. Die Welt wäre schlecht beraten, wenn sie die Brandstifter in die Feuerwehr beruft und ausgerechnet den Ratschlägen
Ackermanns folgt, der noch im Oktober 2007 erklärte, die meisten Finanzinstitute seien "fundamental stark" und das Weltfinanzsystem
"fundamental gesund".
Um eine Wiederholung der Krise zu verhindern, braucht der Finanzmarkt neue globale Spielregeln, die mehr Transparenz, bessere Kontrollen und größere Stabilität herstellen. Dazu zählen die Begrenzung von
Managergehältern und eine stärkere persönliche Haftung. So lange Gehälter und Boni-Zahlungen an kurzfristige Gewinnsteigerungen gekoppelt
sind, werden Anreize geschaffen, auf Teufel komm raus die Rendite zu steigern.
Wer von Gewinnen profitiert muss auch Verluste tragen. Hedgefonds, Private-Equity-Fonds und Rating-Agenturen müssen strengeren Kontrollen
und Regeln unterworfen werden. Auch die weitgehend regulierungs- und rechtsfreien Steueroasen gilt es trocken zu legen. Eine effektive
Finanzmarktordnung ist ohne handlungsfähige Institutionen nicht denkbar.
Der Internationale Währungsfond kann zu einem Frühwarnsystem ausgebaut werden.
Die Finanzkrise hat gezeigt, dort wo Nationalstaaten im Alleingang scheiterten, setzte sich koordiniertes europäisches Handeln durch.
Europäische Zusammenarbeit ist der Schlüssel zu einer effektiven Rezessionsbekämpfung, denn keine Volkswirtschaft ist in der Lage,
alleine mit den Folgen der Finanzkrise fertig zu werden.
Der von Außenminister Steinmeier diese Woche vorgelegte "Europäische Zukunftspakt für Arbeit" ist richtungweisend. Neben einer engeren
Abstimmung in der Euro-Gruppe, ist eine europäische Initiative für Arbeitsplätze und kleine und mittlere Unternehmen gefragt. Denn der
wirkliche Skandal der Krise ist, dass die einsetzende Rezession die
ökonomisch Schwächsten in den Industrienationen und die Entwicklungsländer existentiell gefährdet. Die Ärmsten dürfen nicht die Zeche für die Börsenspekulationen zahlen.
Der Aktionsplan des Gipfels ist ein erster Schritt zu einer neuen globalen Finanzarchitektur. Jetzt ist es an den Regierungen, den schönen
Worten konkrete Taten folgen zu lassen. Aus der Krise erwächst nicht nur die Verantwortung bei den Regeln für die Finanzindustrie nachzubessern,
sondern die Chance, eine neue Weltwirtschaftsordnung nach den
Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft zu gestalten.